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Nachrichten aus dem Kleiderschrank

Der in Friedenszeiten als Kleiderschrank genutzte Schutzraum in Tel Aviv
Der in Friedenszeiten als Kleiderschrank genutzte Schutzraum in Tel Aviv (Quelle: Erwin Javor)

Wieso ich mich so glücklich schätze, täglich und nächtlich mit meinen Liebsten auf ein paar knappen Quadratmetern in einem Kleiderschrank in Tel Aviv zu verbringen.

Ich habe wieder einmal Glück gehabt. Ich stecke gerade in Tel Aviv fest und verbringe gemeinsam mit meiner Frau, meinem Sohn Daniel und seiner Freundin täglich und vor allem nächtlich mehrere Stunden in einem Kleiderschrank. Ich bin privilegiert, dass mir dieser Schrank, der im Krieg seinen eigentlichen Zweck eines fensterlosen Schutzraums aus Beton und Stahl erfüllt, zur Verfügung steht.

Ich könnte auch den allgemeinen Schutzraum nutzen, den es in jedem Haus in Israel gibt, um der Bevölkerung in Kriegszeiten so viel Zuflucht wie möglich zu bieten. In Israel ist jedes Haustor in diesen Tagen sperrangelweit offen und bei Alarm mischen sich Hausbewohner mit Kleinkindern und Hunden mit zufällig vorbeikommenden Passanten und Autofahrern von der Straße in den Schutzräumen. Ein Biotop, in dem man viele Gefühle und Verhaltensweisen in einer Grenzsituation selbst erlebt und beobachtet.

Angst. Selbstverständlich Angst vor der unmittelbaren Gefahr, Angst um die nächsten Angehörigen, Zukunftsangst. Es ist ungewohnt ruhig in der Stadt zwischen den Bomben und Raketeneinschlägen. Die Menschen tun, was zu tun ist. Sie sind gefasst, diszipliniert, routiniert, immer schon gewohnt, unter Beschuss zu stehen, einmal mehr.

So weit wie möglich findet sogar noch ein Alltag statt, die Menschen in den »systemrelevanten« Berufen, von denen man in Corona-Zeiten auch außerhalb Israels schon gehört hat, arbeiten in den Supermärkten, Apotheken und Spitälern und halten alles so weit wie möglich am Laufen. Die Ambulanzen fahren zu den Kratern, die die nicht abgefangenen Raketen aus dem Iran – oder auch von der Hamas im Gazastreifen oder der Hisbollah im Libanon oder der Huthi aus dem Jemen, wir haben da ja eine breit gefächerte Auswahl – gegraben haben.

Ja, dürfen die das denn?

Und: Der gemeinsame Feind vereint. Bisher bin ich hier keinem begegnet, der es für falsch hält, dem Iran mit militärischer Kraft endlich Einhalt zu gebieten. Alle, auch die Opposition, sind sich einig, dass ein weiteres Zuwarten die Existenz Israels endgültig ins Wanken gebracht hätte. Währenddessen suhlen sich die meisten deutschsprachigen Medienvertreter, wie immer bequem lässig, recherche-faul und pseudo-intellektuell, in den Redaktions-Fauteuils und schwadronieren in diesen historischen Tagen weiterhin von »Deeskalation« und stellen die völkerrechtliche Berechtigung des israelischen Angriffs mit erhobenen Zeigefingern infrage. Man muss schon sagen: so akademisch kam Antisemitismus in vergangenen Jahrhunderten noch nicht daher. Welch Fortschritt.

Qualifiziert das jetzt auch das Mullah-Regime schon als Opfer? Es hat noch nie – ganz wie einst Hitler – , aus seinen antisemitischen Vernichtungsplänen ein Geheimnis gemacht. Schon vor zwanzig Jahren rief der damalige iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad dazu auf, dass Israel von der Landkarte gelöscht werden muss. Diese Forderung wurde seither von der Islamischen Revolutionsgarde und vom Obersten Führer Ali Khamenei gebetsmühlenartig wiederholt.

Es ist die offizielle Staatsdoktrin: Israel muss vernichtet werden. In Teheran, am sogenannten Palestine Square, steht auf einer öffentlichen Großfläche eine Uhr, auf der die Zeit bis zur Zerstörung Israels heruntergezählt wird. Immerhin gäbe uns das Regime – vielleicht – bis 2040 noch ein wenig Zeit.

Wie lange genau hätte Israel warten sollen? Bis 31. 12. 2039? Bis der Iran die fünfzehn Atombomben abwurfbereit hat? Bis das iranische Regime mit der bereits fortgeschrittenen Urananreicherung so weit ist, seine Atombomben vollständig fertig bauen zu können? Bis die obersten Mullahs ihre zittrigen Finger in Richtung Atomknopf bewegen? Bis sie draufgedrückt haben? Bis die blind nach Diplomatie rufenden Gutmenschen oder die ihren Geldgebern ergebenen Organisationen wie die UNO oder Amnesty International nicht mehr wegschauen können? Nicht nur die Region sollte sich bei Israel dafür bedanken, die Drecksarbeit der sogenannten zivilisierten Welt zu erledigen.

Wir hätten alle gerne Frieden. Viele der am 7. Oktober 2023 vergewaltigten, ermordeten, gefolterten und in den Gazastreifen verschleppten Israelis waren engagierte Friedensaktivisten. Unreflektierte und weltfremde Friedensnostalgie, in der einst schon der englische Premierminister Chamberlain mit seiner Appeasement-Politik gegenüber Hitler schwelgte, wird immer kläglich scheitern. »To be or not to be is not a question of compromise« (Golda Meir).

Iraner sein

Haben die Ayatollahs ihrem eigenen Volk noch Hoffnung gelassen? Wir reden hier von einem Regime, das Schulmädchen erschießt und vergiftet, Frauen generell missachtet, bedroht, schlägt und umbringt, Queere, Homosexuelle und andere Gruppen zu Tausenden öffentlich hängt. Die Iraner haben keine Schutzräume, um sich vor Kriegen oder Naturkatastrophen (oder ihrem eigenen Regime) in Sicherheit bringen zu können. Die eigene Bevölkerung? Die ist den iranischen Führern genauso unwichtig wie der Hamas die ihre im Gazastreifen. Wir Juden sind tatsächlich anders: Wir feiern das Leben, nicht den Märtyrertod.

Einige mutige Iraner, die nichts mehr zu verlieren haben, bitten auf X: »Sehr geehrter Herr Premierminister Netanjahu, wenn Sie wollen, dass das iranische Volk auf die Straße geht, befehlen Sie bitte den Jets der israelischen Luftwaffe, die Meqdad-Basidsch-Basis in Teheran vollständig zu zerstören.«

An solche Wünsche auch nur zu denken, ist im Iran schon lebensgefährlich und trotzdem sind auch etliche Überläufer der Islamischen Revolutionsgarde daran beteiligt. Auf TikTok und X kursieren Filmchen, die zeigen, wie Iraner mit riesigen Popcorn-Tüten auf den Dächern chillen und jubelnd beobachten, wie Israel Ziele in Teheran bombardiert. Das nur so nebenbei. Oder wie sie die Bombeneinschläge filmen und dabei, dem Diktator Khamenei den Tod wünschen.

Ich fühle mich gerade glücklich in Tel Aviv. Trotz der Sirenen und Einschläge im ganzen Land und den Stunden im Kleiderschrank bin ich vereint mit meinen fürsorglichen Liebsten. Und wenn gerade Entwarnung gegeben wird, kann ich von einem Balkon auf die Stadt schauen, in der die Menschen, bedroht, geschunden, aber, wie ein Wunder, trotz aller Gegensätze vereint sind.

Wie kann man mitten in einem Krieg »glücklich« sein? Meine Eltern würden es verstehen. Meine Mutter überlebte Hitler im Budapester Ghetto. Der Lebensraum beschränkte sich für sie und meine Schwester auf etwa einen Quadratmeter unter einem Tisch. Mein Vater überlebte die Nazis in einem Erdloch, da, wo heute die Ukraine ist. Sie wurden verfolgt, gedemütigt, jeder Würde und Hoffnung auf Überleben beraubt.

Nie wieder? Auch meine Generation und die Generationen nach mir müssen nun erleben, dass Jude zu sein genügt, um Hass und Vernichtungswillen auszulösen. Verstehen Sie jetzt, wieso ich mich so glücklich schätze, täglich und nächtlich mit meinen Liebsten auf ein paar knappen Quadratmetern in einem Kleiderschrank zu verbringen? Wir sind in Israel. Wir wehren uns. Wir können uns heute wehren. Wir werden das immer und immer wieder auch tun.

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