NU - Mammeloschn

Mezuse

NU - Ausgabe Nr. 49 (3/2012)
Von Erwin Javor

Eines Tages kommt zu Reb Joine aus Mikulicin der Gallach (Pfarrer) aus Kolomäa, dem Nachbardorf. Sagt der Gallach: „Reb Joine, ich brauche den Rat eines Kollegen. Bei mir wird dauernd eingebrochen. Vor einer Woche wurde der Opferstock zum sechsten Mal geplündert, vor einem halben Jahr wurde die Pfarre ausgeraubt, gestern haben sie meiner Haushälterin den Sparstrumpf gestohlen, eine wertvolle Ikone aus dem 18. Jahrhundert vermisse ich schon seit Monaten und aus dem Keller ist der ganze Messwein verschwunden. Was soll ich tun? Wird bei euch Juden auch so viel gestohlen?“

Der Rabbiner streicht sich den Bart, nickt bedauernd mit dem Kopf, überlegt, sinniert. Hochwürden beobachtet ihn gespannt und wartet auf eine Inspiration des Kollegen. Schließlich sagt Reb Joine ganz sanft und bescheiden: „Wisst Ihr, wir haben eine Mezuse (Schriftkapsel) an unseren Türpfosten angebracht.“ Hochwürden ist verwirrt. Reb Joine seufzt und erklärt: „Ihr wisst doch, dieses schiefe Ding an der Tür, das alle Juden immer küssen bevor sie in ein jüdisches Haus gehen? Darin befindet sich eine heilige Schriftrolle und beschützt das Haus vor geneiwess (Diebstählen). Außerdem signalisiert es: Hier wohnen Juden. Also wird kein Jud’, hoffentlich, einem anderen Juden Leid zufügen wollen und die Nichtjuden fürchten sich vor dem heiligen Zorn des jüdischen Gottes. Aber wer weiß schon, wer sich hinter euren Türen verbirgt?“ Der Gallach versteht und ist begeistert. „Kann ich so etwas auch für meine Kirche und das Pfarrhaus haben?“ Reb Joine verzieht kaum eine Miene und bringt geflissentlich zwei Mezuses, küsst sie vorsorglich und gibt sie dem Kollegen.

Wochen ziehen ins Land und Reb Joine beschließt einen Gegenbesuch beim Pfarrer in Kolomäa. Der begrüßt ihn herzlich und führt ihn im Pfarrhaus herum. Die Mezuse hängt vorschriftsmäßig am rechten Türpfosten und dennoch kommt ihm der Gallach nicht sehr glücklich vor. „Hochwürden“, fragt Reb Joine, „hat es geholfen? Wird noch eingebrochen?“ – „Eingebrochen? Keineswegs! Und gestohlen wird auch nichts. Trotzdem bin ich nicht zufrieden. Es ist viel ärger geworden.“ – „Das verstehe ich nicht. Was kann ärger sein als Einbrecher?“ fragt der Rebbe. Der Gallach seufzt tief. „Einbrecher kamen ja nicht oft. Aber die vielen Schnorrer … die kommen jetzt jeden Tag!“

Das erinnert mich an Irvin. Irvin Shoenveld hat schon jung geheiratet und viele, viele Kinder bekommen. Dabei hatte er kaum Zeit, sie zu zeugen, hat er doch Jahre und Jahre nur studiert und studiert. So viel und so sehr, dass unter den Nachbarn das Gerücht herumging, seine Frau wäre wie eine Mezuse, so viele müssten sie schon geküsst haben! Wie sonst wäre es zu den vielen Kindern gekommen?

Gleich nach Abschluss seines Studiums summa cum laude kommt Irvin Shoenveld heim zum Vater. Er umarmt den geliebten Sohn, sein Fleisch und Blut, innig und sagt: „Jingele (Sohn), jetzt bist du 42 und hast, unberufen, drei verschiedene Doktortitel errungen und für diesen Kuved (Ehre) habe ich gar nicht so viel Geld investieren müssen. Insgesamt waren es nur 885.500 Dollar, da du ja mit deinem Sejchel (klugen Kopf) auch Stipendien bekommen hast. Also lass mich zusammenfassen: Zuerst bist du im weltberühmten Yale Ph.D. in Meterologie geworden. Dann hast du mich zu Tränen gerührt mit deinem weltberühmten Harvard Ph.D. in theoretischer Physik und Mathematik. Und geradezu sprachlos und stolz haben deine Mamme und mich deine Abschlüsse in Numismatik und südostafrikanischer Botanik in Stanford und Berkley gemacht. Aber jetzt, mein Jingele, mein Sießer (Süßer), langsam wird es Zeit, dass du dich entscheidest, wie du in Zukunft deine Familie ernähren willst: Damenkonfektion oder Herrenkonfektion?“